Das Projekt LINES in Osterholz-Scharmbeck verbindet in besonderer und vorbildlicher Weise ESF- und EFRE-Förderung. Mit der Förderung im Förderprogramm "Erneuerung und Entwicklung städtischer Gebiete" wurde der „Campus für Lebenslanges Lernen“ initiiert und finanziert.
Über eine Förderung im Programm "Inklusion durch Enkulturation" konnten insbesondere an Bildung Beteiligte wie Erzieherinnen und Erzieher, Lehrkräfte und Eltern qualifiziert und regional vernetzt werden.
Ziel des ESF-Förderprogramms "Inklusion durch Enkulturation" ist es, gelingende Bildungsbiografien für alle Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen. Das Projekt wird durch die NBank gefördert. Ein Interview mit Campus-Managerin Dr. Ulrike Baumheier.
Wie dürfen wir uns den Bildungscampus vorstellen? Welche Bestandteile hat er und welche Möglichkeiten und Synergien bietet er vor Ort?
Dr. Baumheier: Unser Campus ist ein innenstadtnahes Bildungszentrum, in dem Bildungsangebote für alle Generationen konzentriert und zu einer flexiblen Bildungslandschaft vernetzt wurden.
Die enge räumliche Nähe von zwei weiterführenden Schulen, VHS, Stadtbibliothek, Medieneinrichtungen und einem Jugendhilfeträger auf dem Campus bietet gute Rahmenbedingungen für die Verzahnung von formellem und informellem Lernen und damit für inklusive Strukturen und Prozesse. So ist es kein Zufall, dass LINES örtlich am Campus verankert ist. Der Campus bietet zahlreiche Fortbildungen und Beratungsangebote für Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher, Ehrenamtliche und andere Bildungsinteressierte rund um das Thema Inklusion. Die meisten Campuseinrichtungen wirken im LINES-Netzwerk mit. Die Geschäftsstelle des LINES-Partners VHS befindet sich auf dem Campus und ich als Campusmanagerin bin gleichzeitig pädagogische Leiterin von LINES.
Schwerpunkte Ihrer Arbeit im Projekt sind der Aufbau und die Weiterentwicklung von zwei Modellkindertagesstätten (Modellkitas) und von sogenannten Indexarbeitsgruppen. Auch die Einbindung von Eltern spielt eine wichtige Rolle. Was heißt dies im Einzelnen, wo liegen die Chancen und das Veränderungspotenzial?
Dr. Baumheier: Eine wichtige Zielgruppe für LINES sind die Kindertagesstätten. Als Vorreiter für die inklusive Entwicklung aller Kitas haben sich bereits ab 2016 zwei städtische Kitas auf den Weg gemacht und entwickeln sich weiter zu Modellkitas für Inklusion. Ab 2018 sind zwei weitere Kitas dazugekommen.
Diese Kitas setzen sich in engem Austausch damit auseinander, welche Barrieren für Spiel, Lernen und Partizipation bei ihnen noch bestehen und wie diese gezielt verringert werden können. Ein Schwerpunkt liegt auf der Einbindung von Eltern aus unterschiedlichen Kulturen und aus unterschiedlichen sozialen Systemen.
Die enge Begleitung der beiden Kitas durch das LINES-Team hat sich bewährt und zu ersten strukturellen Veränderungen geführt. So entwickelte eine der Kitas eine neue, inklusive Form des Informationsmanagements, die die Orientierung für alle in der Kita (Fachkräfte, Kinder, Eltern) erheblich verbessert und damit zugleich eine Einladung zur Teilhabe darstellt. Gut entwickelt haben sich auch neue Kooperationsformen und –wege sowie die gemeinsame Reflexion der pädagogischen Arbeit.
Ein besonderes Anliegen ist uns der Transfer der Erfahrungen der Modellkitas zu anderen Kitas in der Stadt und darüber hinaus. Zu diesem Zweck haben wir unter anderem die Broschüre „Auf dem Weg zur inklusiven Kita“ erstellt.
Ein weiteres wichtiges Transferinstrument ist die Indexarbeitsgruppe für Erzieherinnen und Erzieher. Dabei handelt es sich um eine neue Form von Prozessbegleitungsgruppe, die mit dem Index für Inklusion als wesentlichem Werkzeugkasten Entwicklungsprozesse gestaltet und begleitet. An der Arbeitsgruppe nehmen Fachkräfte aus allen Modellkitas und aus weiteren interessierten Kitas teil. Die Gruppe bietet einen Raum, sich unter professioneller externer Begleitung über die eigene pädagogische Arbeit auszutauschen und damit nicht nur konkrete Fälle und Problemfelder gemeinsam zu bearbeiten, sondern auch längerfristige Veränderungen anzustoßen.
Sie und andere Institutionen und Organisationen vor Ort standen in den Jahren 2015 und 2016 vor der Herausforderung, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, Flucht- oder Traumaerfahrung aufzunehmen. Wie haben Sie diese Herausforderung im Alltag (z.B. für die Kitas) bewältigt?
Dr. Baumheier: Unsere Kitas und Schulen haben in relativ kurzer Zeit eine große Zahl von Kindern mit einer zum Teil traumatischen Fluchtgeschichte und so gut wie keinen Deutschkenntnissen aufgenommen. Die zugewanderten Kinder und ihre Eltern unterschieden sich nach ihrem Herkunftsland und ihrer Muttersprache, ihrer Kultur und Religion, ihren Werten und Bildungsständen. Kenntnisse über das deutsche Bildungssystem waren nicht oder wenig vorhanden. In dieser Situation war es eine große Unterstützung, dass die Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher auf das eingespielte LINES-Netzwerk zurückgreifen konnten und so schnell gezielte Kooperationen zum Beispiel mit Beratungsstellen oder Ehrenamtlichen entstanden.
Wie hat sich die Herausforderung, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, Flucht- oder Traumaerfahrung aufzunehmen, bis heute entwickelt?
Dr. Baumheier: Aktuell werden Osterholz-Scharmbeck keine weiteren Flüchtlinge zugewiesen. Der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund ist aber insbesondere in den Kitas und Schulen in den örtlichen Soziale Stadt-Gebieten unverändert hoch. Häufig konnte die Inklusion dieser Kinder in die Gruppe bzw. Klasse noch nicht ausreichend bewältigt werden. Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte erkennen und nutzen die Vielfalt und die Verschiedenheit der Kinder und erleben dennoch die besonderen Herausforderungen, jedem Kind gerecht werden zu wollen. Der Aufbau von tragfähigen und belastbaren Erziehungspartnerschaften zwischen den Einrichtungen und den Eltern wird nicht nur durch Sprachbarrieren, sondern auch durch kulturelle Unterschiede erschwert und bedarf eines interkulturellen Verständnisses. Hier benötigen die Fachkräfte deutlich mehr an Fortbildungs- und Beratungsangeboten als durch die regulären Angebote des Landes und der Kommunen geleistet werden kann. LINES unterstützt hier zum Beispiel durch Teamschulungen in interkultureller Kompetenz und die Beratung von Kitas und Schulen sowie Eltern und ehrenamtlichen Lernpatinnen und Lernpaten.
Ihr Projekt widmet sich teilweise auch der kulturellen Bildung. Welche Rolle spielt die kulturelle Bildung bei der Inklusion und wie bettet sich dieses Teilprojekt in das Gesamtprojekt ein?
Dr. Baumheier:
Kulturelle Bildung bietet gute Chancen zur Förderung von Inklusion. Besonders in gemeinsamen Projekten mit „Profis“ – Künstlerinnen und Künstler, Musik- und Theaterpädagoginnen und -pädagogen – erhalten Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, im konkreten Tun ihre Talente und Begabungen unter Beweis zu stellen und weiterzuentwickeln. Gerade Kinder und Jugendliche aus bildungsbenachteiligten Familien haben aber in ihrer Freizeit wenig Berührungspunkte mit kulturellen Aktivitäten. LINES arbeitet deshalb daran, Kulturprojekte und –initiativen stärker mit dem Bereich Bildung und Erziehung zusammenzubringen und zu verzahnen. Inklusionsprozesse sollen durch die Kooperation von formaler und kultureller Bildung weiterentwickelt werden. Dabei ist es ein wesentliches Ziel, über einzelne Kulturprojekte hinaus längerfristige Partnerschaften zwischen Kulturinitiativen und Schulen bzw. Kitas zu verankern.Aufgrund der positiven Erfahrungen mit dem Kulturprojekt „Wurzeln und Flügel“ werden wir ab Sommer 2019 gemeinsam mit einer Grundschule und einer weiterführenden Schule mit einem Theaterprojekt zur Förderung von Übergängen starten. Die Rolle von LINES besteht dabei in der Schulung und Beratung der Lehrkräfte und Fachkräfte. Für die konkrete Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen konnte der LINES-Partner ABÖE zusätzliche Kulturfördermittel einwerben.
Informationen zum Förderprogramm "Inklusion durch Enkulturation".
Fragen zum Projekt LINES: Frau Dr. Ulrike Baumheier, Telefon: 04791 17-520, E-Mail: baumheier@osterholz-scharmbeck.de