Eine Lkw-Achse schwebt im Klassenraum. Um sie herum sind Schülerinnen und Schüler, alle tragen Augmented-Reality-Brillen, einer greift in die Achse, löst eine virtuelle Schraube. In der Georg-von-Langen-Schule (BBS Holzminden) lernen angehende Kfz-Mechatronikerinnen und Kfz-Mechatroniker die Reparatur einer Lkw-Achse am virtuellen Modell.
Die BBS Holzminden qualifiziert nicht nur für technische, sondern auch für gewerbliche, kaufmännische und soziale Berufe. „Wir sind eine Bündelschule“, erklärt Schulleiter Andreas Hölzchen. „Aufgrund der Vielzahl der Ausbildungsberufe und der geringen Schülerzahl in einzelnen Berufen, darunter auch die Nutzfahrzeugtechnik, fällt es uns schwer, für alle Berufe eine entsprechende Lernwerkstatt oder Lernträger zur Verfügung zu halten. Andererseits ist die Ausbildung vor Ort für die Region – in diesem Fall der Bereich Nutzfahrzeugtechnik und der damit verbundenen Logistik – besonders wichtig. Daher suchen wir kontinuierlich nach neuen Lehrformaten, um unsere Berufsausbildung zeitgemäß mit einem hohen Maß an Handlungskompetenz zu gestalten.“ Die berufsbildenden Georg-von-Langen-Schulen sind regionaler Knotenpunkt der Ausbildung und eng vernetzt mit der Wirtschaft in der Region. Als regionaler Inkubator für die duale Ausbildung sehen sie sich auch als Entwickler: Gemeinsam mit dem Zukunftszentrum Holzminden-Höxter realisieren sie schon seit 2016 innovative und digitale Lernszenarien für unterschiedliche Branchen.
„Wir sind eine berufsbildende Schule im ländlichen Raum. Hochkarätige, zukunftsorientierte Ausbildung vor Ort ist einzentraler Standortfaktor, damit Nachwuchskräfte gut ausgebildetder regionalen Wirtschaft zurVerfügung stehen.“ Andreas Hölzchen, Schulleiter, Georg-von-Langen- Schule Berufsbildende Schulen Holzminden
Der Mann, der den Anstoß gab
Michael Roland ist Abteilungsleiter Technik an der BBS Holzminden. Ihn interessierte Augmented Reality als Option für den Unterricht. Das war der Beginn des Projekts. Frau Professor Dr. Engel vom Zukunftszentrum Holzminden-Höxter vermittelte den Kontakt zum HAWK-Standort Göttingen. Dort hatte Prof. Dr. Christopher Frey eine neuartige Leichtbauachse für den Fahrzeugbau entwickelt. Die Idee nahm Gestalt an: Die Achse wurde durch Projektmitarbeiter Laurent Matthies mit einem CAD-Programm digitalisiert und in einem Augmented-Reality-Programm umgesetzt, sodass sie mit einer AR-Brille sichtbar und berührbar wird. Roland beschreibt den Vorgang: „Wir schaffen mit den offenen AR-Brillen einen virtuellen Raum. Darin üben unsere Schülerinnen und Schüler Handgriff für Handgriff, Reparaturhinweise werden zugespielt. Zugleich sehen sie die klassische Lkw-Achse, die wir vor Ort haben. Die Überlagerungstechnik ist so gut, es ist, als würde man die Achse bearbeiten. Die konkrete Erfahrbarkeit macht einen deutlichen Unterschied im Unterricht.“ Unternehmen wie Volkswagen nutzen das AR-Verfahren bereits, um Auszubildende und Fachkräfte zu schulen. Andreas Hölzchen beschreibt das Potenzial für die Berufsbildung: „Die Welt ändert sich. Wir müssen Berufsschülerinnen und -schüler angemessen abholen. Mit der AR-Technologie tritt das Erleben und Erfahren vor die sprachliche Vermittlung. Das kommt den jungen Menschen zugute. Wir überlegen derzeit, wie wir Robotik für die Pflegeberufe einsetzen können. Um virtuell zu lehren, Pillen richtig zu sortieren oder Menschen in Pflege richtig zu lagern. Für uns ist es eine Revolution der Ausbildung. Das können wir nur gefördert umsetzen.“
„Das Holzmindener Projekt zeigt, wie innovative Lernszenarien die Ausbildung im Flächenland Niedersachsen voranbringen – und zugleich einenwichtigen Beitrag zur Standortsicherung leisten.“ Martin Schikora, NBank
Gefördert durch den Europäischen Sozialfonds (ESF)
Das Holzmindener Projekt wird als innovatives Bildungsprojekt der beruflichen Erstausbildung bezuschusst aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. „Ziel des ESF ist es unter anderem, ein hohes Beschäftigungsniveau zu erreichen, die Qualität der Arbeitsplätze sowie die Jobchancen zu verbessern. Die Förderung beträgt grundsätzlich 50 Prozent der zuwendungsfähigen Ausgaben“, berichtet Martin Schikora.