Auf dem Land sind die Wege zur nächsten Facharzt praxis oft weit – und das kann für chronisch kranke Menschen zu einer großen Belastung werden. Denn sie müssen sich regelmäßig in den Praxen vorstellen, um sich dort Blut abnehmen zu lassen. Labore, die mit den Fachpraxen zusammenarbeiten, werten das Blut dann aus. Meist folgt eine Nachbesprechung der Analyseergebnisse ein bis zwei Wochen später in der Praxis. Viele Termine also, die chronisch Kranke mit langen Fahrt und Wartezeiten belasten können. Dieses Problem betrifft viele Menschen: Rund 40 Prozent der Deutschen leiden an mindestens einer chronischen Erkrankung. Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) hat nun eine innovative Lösung gefunden.
Fernblut per Post
Im Projekt „Blut mobil“ testet die Medizinische Hochschule in Kooperation mit der Abteilung der Allgemeinmedizin Göttingen das sogenannte „Fernblutprinzip“: Patientinnen und Patienten, die weiter weg von ihren Arztpraxen wohnen, nehmen sich selbst zu Hause Blut ab. Dann schicken sie es per Post direkt ins Labor. „Das Projekt richtet sich vor allem an Menschen, die regelmäßig länger unterwegs sind, um zu ihren Facharztpraxen zu kommen“, sagt MHHProfessorin und Projektleiterin Alexandra Dopfer-Jablonka. Aber auch ältere Menschen, die selbst nicht mehr Auto fahren können, zählen zur Zielgruppe. Zudem könnten Berufstätige vom Fernblutprinzip profitieren, denn sie müssten nicht mehr lange auf passende Termine warten.
Pilotprojekt in Niedersachsen
Die MHH testet das Fernblutprogramm aktuell mit ihren eigenen Patienten. Fünf Rheumatologie-Praxen mit einem großen, ländlichen Einzugsbereich beteiligen sich ebenfalls an der Testphase. Ein mutiges Projekt: Denn mit der Idee, Patientinnen und Patienten die Blutabnahme selbst zu überlassen und Blut per Post zu verschicken, stoßen die Forschenden bei vielen Arztpraxen, Laboren und auch bei den Patientinnen und Patienten selbst erst einmal auf Skepsis. Die NBank hat das Potenzial der Idee aber schnell erkannt und dafür gesorgt, dass die Forschenden mit der passenden Förderung eine Chance bekommen, den Nutzen ihrer Idee in der Praxis zu beweisen. „Wir glauben, dass das Fernblutprogramm für den ländlichen Raum ein großer Gewinn ist“, sagt NBank-Beraterin Sabrina Fürstenberg-Wiegmann.
Über 500.000 Euro für soziale Innovation
Ein spezielles Kit soll die Blutabnahme zu Hause erleichtern. Patienten können es sich mit einem kleinen Piks in den Arm abnehmen und dann in speziellen Behältern in einem kleinen Päckchen ins Labor schicken. Die Ergebnisse besprechen sie telefonisch oder in einer Videosprechstunde direkt mit ihrer Arztpraxis. Das senkt die Zahl der Praxisbesuche und damit auch die Arbeitsbelastung in den Arztpraxen. Seit Juli 2023 fördert die NBank das Projekt im Rahmen des Europäischen Sozialfonds im Förderprojekt „Soziale Innovation“ mit über 500.000 Euro. Die Förderung läuft noch bis Ende 2025. In dieser Zeit müssen die Forschenden noch einige offene Fragen klären. Kommen die Labore mit der kleinen Blutmenge aus dem Spezialkit aus? Ist das Blut nach dem Versand noch sicher für Labore nutzbar? Ist die Eigenblutabnahme für die Patienten eine Belastung oder eine Erleichterung? „Wir müssen mit unserem Projekt alle Beteiligten überzeugen – von den Patienten bis zu den Laboren. Sonst funktioniert das System nicht“, sagt Dopfer-Jablonka. Sollte den Fernblutpionieren der Beweis gelingen, dass die mobile Blutentnahme im großen Maßstab funktioniert, könnte das Prinzip künftig in vielen Bereichen der medizinischen Versorgung zur Anwendung kommen, zum Beispiel in der ambulanten oder stationären Pflege, bei Rettungsdiensten oder in der medizinischen Forschung.