Der Erwerb berufsbezogener Kompetenzen in Verbindung mit einem Job oder einer Ausbildung im Einzelhandel, dies ist das Ziel des Projekts „Teilqualifikation Verkauf“ der AWL – Akademie für Wirtschaft und Logistik GmbH (AWL GmbH) in Stade. Das Projekt richtet sich an Arbeitslose mit Migrationserfahrung. Diese sollen durch das Absolvieren der Teilqualifikation "Durchführung verkaufsbezogener Aufgaben" und der Prüfung „Deutsch als Fremdsprache für den Beruf (Niveaustufe B2)“ in den Arbeitsmarkt integriert werden.
Die NBank sprach mit dem Geschäftsführer der AWL GmbH und Projektleiter Rainer Jordan über den Verlauf des Projektes und über die Herausforderungen, die sich auf Grund der Corona-Pandemie ergeben haben.
Das Projekt wird durch die NBank im Rahmen des ESF-Programms „Qualifizierung und Arbeit (QuA)" gefördert.
NBank: Herr Jordan, was sind die wichtigsten Phasen und Zielsetzungen Ihres ESF-Projektes „Teilqualifikation Verkauf“?
Rainer Jordan: Das Projekt umfasst zwei Qualifizierungsphasen. In der ersten Qualifizierungsphase stehen Deutsch als Fremdsprache für den Beruf und die Grundlagen „Verkaufsbezogene Aufgaben“ im Zentrum. Diese Qualifizierungsphase schließt mit einem zweiwöchigen betrieblichen Orientierungspraktikum und der TELC-Prüfung Deutsch als Fremdsprache für den Beruf Niveaustufe B1/B2 ab. Von den fünfzehn Teilnehmenden hat eine Teilnehmende die Prüfung Deutsch als Fremdsprache für den Beruf mit B2 abgeschlossen, elf Teilnehmende haben die Niveaustufe B1 erreicht. Bemerkenswert ist, dass im mündlichen Prüfungsbereich fünf weitere Personen auf B2-Niveau lagen, aber im schriftlichen Bereich diese Niveaustufe nicht bestätigen konnten.
Die zweite Qualifizierungsphase beinhaltet die einjährige Teilqualifikation „Durchführen verkaufsbezogener Aufgaben“. Sie umfasst die theoretischen wie auch berufspraktischen Inhalte des ersten Ausbildungsjahres „Verkäufer/in“. Die Teilqualifikation endet mit einer schriftlichen und praktischen Kompetenzfeststellung vor der Prüfungskommission der IHK Stade für den Elbe-Weser-Raum. Neun Teilnehmende haben an der IHK-Prüfung teilgenommen, sieben haben die IHK-Prüfung erfolgreich bestanden und das IHK-Zertifikat erhalten.
Leider konnten trotz aller positiven Rückmeldungen aus den Betrieben nur zwei Teilnehmende nach der Prüfung Arbeit aufnehmen, da die Unsicherheiten im Einzelhandel aufgrund der Corona-Pandemie zu massiv sind.
NBank: Der Projektverlauf ist vollständig von der Corona Pandemie und deren Auswirkungen erfasst worden. Inwiefern mussten Sie deshalb umsteuern? Was war die Besonderheit dieses Projektes?
Rainer Jordan: Die erste Praxisphase als Orientierung im Verkauf im Februar 2020 konnte noch wie geplant durchgeführt werden. Doch Mitte März 2020 wurden mit dem ersten Lockdown nicht nur der Einzelhandel eingeschränkt, sondern auch die Schulen geschlossen. Da wir in Rotenburg (Wümme) mit der dortigen berufsbildenden Schule kooperieren, mussten wir auf homeschooling umstellen. Das heißt, dass die Teilnehmenden Arbeitsaufgaben erhielten und anschließend per Mail, durch Telefonate und/oder in Whatsapp-Gruppen die Themen besprochen und aufgearbeitet wurden. Die große Herausforderung war, dass die technische Ausrüstung mehrerer Teilnehmender sich auf ein Handy beschränkte und Laptops oder Rechner zu Hause nicht zur Verfügung standen. Der Informationsrückfluss war daher mit großem Aufwand verbunden.
Auch die praktische Lernphase im April 2020 konnten wir nicht wie geplant durchführen, da die allermeisten Einzelhandelsunternehmen geschlossen waren. Wir haben daher die Theoriephase im homeschooling verlängert. Nach dem Lockdown konnten wir den Unterricht aufgrund der Gruppengröße nur wie an den öffentlichen Schulen im Wechselunterricht durchführen. Das heißt, die erste Teilgruppe hatte am Montag Präsenzunterricht und die zweite Teilgruppe war mit Aufgaben zu Hause. Am Dienstag hatte die zweite Teilgruppe Präsenzunterricht und die erste Teilgruppe war mit entsprechenden Aufgaben zu Hause. Also ein weiterer Organisationsaufwand für die Projektkoordination und die Lehrkräfte.
Nach dem der Lockdown im Mai 2020 aufgehoben wurde, war es schwierig geeignete Praxisplätze zu finden, denn in den Unternehmen war in Bezug auf Praxismöglichkeiten zum Teil eine große Zurückhaltung spürbar. Auch im Frühjahr 2021 mussten wir die geplanten praktischen Lernphasen verschieben, denn wegen des zweiten Lockdowns konnten wir erst mit einer zweiwöchigen Verzögerung die abschließende praktische Lernphase durchführen.
NBank: Vieles musste also anders umgesetzt werden als ursprünglich geplant. Wie haben Sie und Ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer das bewältigt? Welche Erfolge haben Sie trotz dieser widrigen Umstände erzielt?
Rainer Jordan: Grundlage für die erfolgreiche Umsetzung des Projekts war das große Engagement aller Beteiligten und die Bereitschaft, sich auf neue Situationen einzustellen und pragmatische Lösungen zu finden. Neben der Projektkoordination und den Lehrkräften spielte die sozialpädagogische Begleitung eine wichtige, stabilisierende Rolle. Das betrifft natürlich die Zeit des homeschoolings, aber auch während des gesamten Projektverlaufs konnten die Höhen und Tiefen der Motivation der Teilnehmenden begleitet werden. Herauszuheben ist auch die Unterstützung der berufsbildenden Schule in Rotenburg, denn wir konnten den Verkaufstrainingsraum für praktische Lerneinheiten nutzen und gestalten. Auch die sehr gute Zusammenarbeit mit dem Jugendberufszentrum spielte bei der Stabilisierung der Teilnehmenden eine zentrale Rolle.
Für mich ist der größte Erfolg, dass wir das Projekt nicht abbrechen mussten, sondern neun Teilnehmende an der IHK-Prüfung teilnehmen konnten. Zum einen ist der Einzelhandel durch die Auswirkungen der Pandemie besonders betroffen und zum anderen ist die EDV-Ausstattung der Zielgruppe (Personen mit Migrationserfahrung) oftmals auf ein Handy beschränkt.
NBank: Was ist Ihr Résümée? Was hat Sie besonders gefreut?
Rainer Jordan: Besonders hat mich die Bereitschaft der Teilnehmenden gefreut sich gegenseitig zu unterstützen. Während des homeschoolings haben sie sich gegenseitig Lerninhalte erklärt, Kontakt gehalten und außerdem auf eine unterrichtsfreie Zeit verzichtet, um weiter lernen zu können. Das war für mich keine Selbstverständlichkeit. All diese organisatorischen, persönlichen und sozialen Hindernisse zu bewältigen und Lösungen zu finden, ist ein (Lern-) Erfolg aller Beteiligten.
NBank: Welche Ihrer Erfahrungen sind für uns als NBank und für andere antragstellende Organisationen wesentlich?
Rainer Jordan: Aus meiner Sicht sind zwei Faktoren wesentlich. Zum einen ist die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter, hier in Rotenburg durch das Jugendberufszentrum vertreten, ein zentraler Baustein. Zum anderen sollte der Projektkoordination und der sozialpädagogischen Betreuung ein großer zeitlicher Stellenwert eingeräumt werden. Beide Faktoren haben für eine erfolgreiche Projektumsetzung eine tragende Rolle.
Herr Jordan, vielen Dank für das Gespräch!
Als Bildungs- oder Beratungseinrichtung bieten Sie Maßnahmen zur Ausbildung und Qualifizierung von Arbeitslosen und Beschäftigten? Wir fördern diese Projekte.
Bildnachweis: AWL - Akademie für Wirtschaft und Logistik GmbH